Dienstag, Januar 30, 2007

Hannelore Kraft vor einer Woche

Hannelore Kraft am vorherigen Samstag:

Die SPD ist auch die Partei der heimischen Energieträger: Das ist neben den erneuerbaren Energien und der Braunkohle natürlich auch die Steinkohle. Wir werden an der Forderung nach einem dauerhaften Steinkohlesockel festhalten - aus Gründen der Versorgungssicherheit und zur Sicherung einer Zukunftsbranche. Denn Kohle ist weltweit Zukunft und eben nicht Vergangenheit.

Angesichts der wachsenden Unsicherheit auf den Weltenergiemärkten müssen wir in Deutschland den Zugang zu den Lagerstätten auch für die kommenden Generationen offen halten. Dabei haben wir die
deutliche Mehrheit der Menschen auf unserer Seite! Nach der jüngsten Umfrage des WDR vom vergangenen Sonntag lehnen 67 Prozent der Menschen einen Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau ab, wie ihn CDU, FDP und Grüne planen.


In den vergangenen Tagen hat die Große Koalition nun den Ausstieg aus der Kohleförderung beschlossen. Der Sockelbergbau ist vom Tisch. Dass die verabredete Revisionsklausel zur Anwendung kommt ist sehr fraglich.
SPD-Verhandlungsführer waren neben Kurt Beck die NRW-Genossen Franz Müntefering und Peer Steinbrück.
Entweder sie hatten Hannelore Kraft mitgeteilt, dass sie den Bergbau fallen lassen wollen, dann hat sie uns belogen.

Oder die Vorsitzende des wichtigsten SPD-Landesverbandes wusste eine Woche vor dem für dieses Bundesland entscheidende Weichenstellung nichts von den Plänen Münteferings und Steinbrücks.
Dann hätten die beiden es bereits Tage nach der Wahl geschafft, sie öffentlich zu desavouieren und der Lächerlichkeit preiszugeben.

Montag, Januar 29, 2007

Montagsgedichte

XII

Für mein Herz genügt deine Brust,
für deine Freiheit genügen meine Flügel.
Von meinem Mund gelangt bis zum Himmel,
was schlummert auf deiner Seele.

IN dir ist die Illusion eines jeden Tages.
Du kommst wie der Tau zu den Blumenkronen.
Du untergräbst den Horizont durch dein Fernsein.
Ewig auf der Flucht wie die Welle.

Du singst, so sagte ich, im Wind
wie die Föhren und die Masten.
Wie sie bist du hoch und schweigsam.
Und plötzlich wirst du traurig, wie eine Reise.

Gastfreundlich wie ein alter Weg.
Dich bevölkern Echos und Stimmen der Sehnsucht.
Ich erwachte, und manchmal ziehn flüchtend fort
Vögel, die schliefen in deiner Seele.

XX

Heut nach kann ich die trübsten, traurigsten Verse schreiben.

Schreiben etwa: "Mit Sternen übersät ist das Dunkel,
und blaugefroren zittern weit entfernte Gestirne."

Der Wind der Nacht zieht seine Kreise am Himmel singend.

Heut nacht kann ich die trübsten, traurigsten Verse schreiben.
Ich liebte sie, und manchmal hatte auch sie mich gern.

In Nächten, so wie diese, hielft ich sie in den Armen.
Küßte sie viele Male unterm endlosen Himmel.

Sie liebte mich, und manchmal hatte auch ich sie gern.
Wie denn nicht lieben ihre großen, sicheren Augen.

Heut nacht kann ich die trübsten, traurigsten Verse schreiben.
Denken, daß sie mir fern ist. Fühlen, daß sie verloren.

Hören die öde Nachtluft, öder noch, seit sie fort ist.
Der Vers fällt auf die Seele wie der Tau auf das Gras.

Was macht`s, daß Liebe sie nicht bewahren konnte.
Sternbesät ist das Dunkel, und sie ist nicht mehr bei mir.

Das ist alles. Sehr ferne singt irgendwer, sehr ferne.
Mein Herz kann es nicht fassen, daß ich sie nicht mehr habe.

Wie um sie herzuholen, ist mein Herz auf der Suche.
Mein Herz ist auf der Suche, und sie ist nicht mehr bei mir.

Die gleiche Nacht, und weißlich schimmern dieselben Bäume.
Aber wir, die von damals, wir sind nicht mehr dieselben.

Ja, ich liebe sie nicht mehr, doch wie liebte ich, damals.
Zum Wind lief meine Stimme, um an ihr Ohr zu rühren.

Jetzt hat sie wohl ein andrer. Wie einst, eh ich sie küßte.
Den hellen Leib, die Stimme. Die großen, großen Augen.

Ja, ich liebe sie nicht mehr, liebe sie vielleicht doch noch.
So kurz dauert die Liebe, und so lange das Vergessen.

Denn in Nächten wie diese hielt ich sie in den Armen.
Mein Herz kann es nicht fassen, daß ich sie nicht mehr habe.

Mag`s auch der letzte Schmerz sein, den ich durch sie erleide,
sind`s auch die letzten Verse, die ich für sie nun schreibe.

Pablo Neruda, 1924, "20 Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung", aus "Pablo Neruda, Liebesgedichte, Spanisch/Deutsch" Sammlung Luchterhand.

Sonntag, Januar 28, 2007

Ladenöffnungszeiten in Dortmund: Worst Case

Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Fußball-WM beschlossene Neuregelung der Ladenöffnungszeiten war von Beginn an ein zweischneidiges Schwert.
Der neuen Konsumfreiheit standen die zusätzlichen Belastungen der Arbeitnehmer und die negativen Auswirkungen in der Einzelhandelswirtschaft (Benachteiligung kleiner Unternehmen) gegenüber.
Diese Abwägung ist eine politische Entscheidung mit plausiblen Gründen für beide Seiten.

Die nun sichtbar werdenden Konsequenzen aus der völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten (von Sonn- und Feiertagen abgesehen) gleichen allerdings, zumindest in Dortmund, einem Worst-Case Szenario.
Nach einer Phase des Experimentierens zerfällt der ehemals einheitliche Kompromiss des hiesigen Einzelhandels in einen undurchsichtigen Flickenteppich.
Saturn öffnet freitags von 9.30 bis 22.00 Uhr. Kaufhof ebenfalls. Karstadt dagegen schließt nun doch wieder früher (20.00). Noch konfuser ist es in den Vororten. In Hombruch schließen die Geschäfte gegen 18.00, in Hörde erst um 20.00 Uhr. Von den Samstag-Regelungen gar nicht erst zu sprechen.

Und so schadet das Gesetz Arbeitnehmern, Einzelhandel und Verbraucher zugleich.
Der Konsument kann die neuen Einkaufsmöglichkeiten der vereinzelt länger öffnende Geschäfte nicht nutzen, da er im Öffnungszeitendschungel die Orientierung verliert und eine nur halb geöffnete Innenstadt wenig einladen ist.
Die Arbeitnehmer (zum großen Teil Frauen) müssen noch länger, zu noch untypischeren Zeiten, arbeiten und der Einzelhandel ist völlig verunsichert.

Das Gesetz hat die an ihn gerichteten Erwartungen in keiner erfüllt, es ist völlig kontraproduktiv und sollte ihm Sinne Aller zurückgenommen werden.

Zurück aus Zürich

Le Chien (1951)
http://www.kunsthaus.ch

Alberto Giacometti (1901 - 1966 )
Umfassende und gut aufbereitete Schau durch alle Schaffensphasen des Künstlers aus den Beständen des Hauses.

Besonders beeindruckend war für mich die Entwicklung vom Surrealismus der 30iger Jahre (mit imaginierten Foltervorrichtungen und Architekturmodellen) zu den dünnen, kleinen (der Künstler selber spricht von Darstellung aus weiter Entfernung) Figürchen des Nachkriegsschaffens: So wenig und so viel ist der Mensch also zu gleich, stellt man erstaunt fest - hat man sich von dem oberflächlichen Bild der einen täglich im Leben wie in der Fiktion umgebende, auf den ersten Blick oft abstossenden Fassade des modernen Menschen freigemacht. Bilder von Kriegsgefangenen und Verhungernden werden provoziert.

Le Chien ist vielleicht das melancholischste Werk dieser Phase, dieses Element geht den Menschendarstellungen fast vollständig ab - am dramatischsten für mich verdeutlicht in der Figur "Mann geht im Regen", von der ich leider keine Abbildung finden konnte.

Eine kleine, vielleicht acht Zentimeter große Figur, überdünn, lange Arme, lange Beine, ein zerfahrenes und zerrissenes, aus schwarzem Metall gearbeitetes "Strichmänmchen", stemmt sich schräg gegen den Wind, bückt sich unter dem imaginierten Regen, die Beine weitauseinander, wie zu einem großen, festen Schritt. Jeden Moment scheint es vom Umkippen bedroht. Aber die klumpigen Füße gehen in einen großen metallernen Block über, jede Illusion von Bewegung wird zerstört.

Fotographien geben nur sehr unvollkommen wieder, was diese Plastiken im Raum ausmachen. Das Kunsthaus Zürich beeindruckt auch neben den Giacometti Beständen mit einer umfangreichen Sammlung der klassischen Moderne und modernen Kunst(den Bereich der alten Meister habe ich bei meinem Besuch auszusparen) und ist bei Aufenthalt in Zürich absolut einen Besuch wert.

Donnerstag, Januar 25, 2007

Gute Nacht Musik

Schon etwas älter, aber immer noch gut für einen Energieschub und bald dürfte es auch was neues geben, wenn ich mich nicht ganz täusche.

Hit the Switch - Imperial Horizon


Aus der Reihe

Es ist zwar nicht Montag, aber es sprang mir heute so aus einem der langen Bücherregale in der Bibliothek entgegen, als ich auf der Suche nach etwas ganz anderem war und hat mir gleich so gefallen, dass ich es mir merken konnte(hoffentlich richtig!):

Einsilbig ist die Sprache der Nacht.
Sie sagt: "Stern"
Sie sagt: "Mond"
Sie sagt: "Du"

Christine Busta "Einsiblig ist die Sprache der Nacht. Ausgewählte Gedichte" Otto-Müller-Verlag, 2000

Mittwoch, Januar 24, 2007

Schnee, ganz viel Schnee!

Alkaline Trio B-Seiten Album online

Alkaline Trio, für mich eine der besten existierenden Emopunkbands(Kopf an Kopf mit den Lawrence Arms!) , streamed of ihrer MySpace Seite(leider nur da, Probleme sind also vorprogrammiert) ihr neustes Album Remains, eine Sammlung von B-Seiten, Songs von Splitreleases(u.a. mit Hot Water Music) und Liveversionen. Vieles davon aber absolut auf Studioalbumniveau; Einfach mal reinhören: http://www.myspace.com/alkalinetrio

Mein Highlight: Track 07 While youre Waiting.

In Deutschland erscheint das gute Stück am Freitag.

Sonntag, Januar 21, 2007

Montagsgedicht

Apfelbaum und Olive

Ein Trost ist, zu wissen
wo die Tassen stehn und die Teller
in dem Haus, in dem du Gast bist,
und einen Anteil zu haben
an der Zärtlichkeit von Katze und Hund
deines Freunds,
und die Tücken des Fahrrads zu kennen
als sei es dein eignes,
auf dem du mit der verblichenen Tasche
in das fremde Dorf fahren darfst,
und die Milch auf dem Weg zu verschütten
als habest du selbst
den Deckel der alten Kanne
vor Jahren auf diesem Wege verloren.
Du gehst durch das Gartentor
und machst es hinter dir zu,
als stehe die Bank
für dich vor dem Haus,
und siehst die Andern draußen vorbeigehn,
du,
der Wandrer
von Tag zu Tag
und von Land zu Land,
auf dem das Wort
von der Flüchtigkeit
allen Hierseins
Fleisch ward.
Du, den jede Wand
aufgibt,
und den es oft nach des Zirkuskinds
fahrbarer Höhle verlangt.

Zwar, der Apfelbaum und die Olive
sind überall dein,
und in fernen Ländern
schiebt man dir einen Stuhl an den Tisch
an der Seite der Hausfrau,
und jeder gibt dir von seinem Teller
wenn die Schüssel schon leer ist,
als habe ein Kind sich verspätet,
nicht als kämst du eben vom Flugplatz.
Und die dunkeln Mangobäume
und die Kastanien
wachsen Seite bei Seite
in deinem Herzen.

Du weißt, wie die hohen Gräser
an den Rändern der Insel rascheln
in allen südlichen Meeren,
wie staubig die Kaktuswege sind,
und du gehst durch die schaumigen Wiesen und kennst
ihren bunten Kalender.
Du spielst mit dem Wind
und bläst die hellen Kugeln
des Löwenzahns in die Luft
und siehst dem Schweben
der kleinen weißen Schirme zu
- so leicht, so widerstandslos vor demWehn
wie du selbst.
Irgendwo
dürfen sie landen.

Dann fährst du die Straße hinab
als glittest du auf einem Schlitten
an den Pappeln vorbei
in die Abendsonne.
Ein Reh tritt aus dem Wald,
und eine kleine Kirche auf einem Hügel
mit einem einsamen Kirchhof
winkt dir zu.
Du wägst ihren Gruß
wie eine Einladung
die man eines Tages
- noch ungewiß, wann -
vielleicht gerne
annehmen möchte.

Und daran erkennst du,
daß du
hier ein wenig mehr
als an anderen Stätten
zuhaus bist.

Hilde Domin, "Nur eine Rose als Stütze", 1959, Fischer Verlag.

Samstag, Januar 20, 2007

Auszüge

Aus Alexander Berkman "ABC des Anarchismus", 1929 veröffentlich, übersetzt von Helga Bilitewski 1978:

"Kurz gesagt: Anarchismus heißt die Gesellschaftsform, in der alle Männer und Frauen frei sind und in der alle die Vorteile eines geregelten und sinnvollen Lebens genießen."

"Der Zustand, in dem Freiheit eine Regierung ersetzt, wäre Anarchie. Und dort, wo gleichberechtigte Nutznießung an die Stelle von Privateigentum tritt, wäre Kommunismus.
Es wäre ein kommunistischer Anarchismus."

"Keine Revolution hat bisher den wirklichen Weg der Freiheit erprobt. Keine besaß genug Vertrauen zu ihm. Gewalt und Unterdrückung, Verfolgung, Rache und Terror waren für alle Revolutionen der Vergangenheit charakteristisch und haben deren ursprüngliche Zielsetzung zunicht gemacht. Die Zeit ist gekommen, neue Methoden, neue Wege zu versuchen. Die soziale Revolution muß die Emanzipation des Menschen durch Freiheit erreichen, aber wenn wir zur Freiheit kein Vertrauen haben, wird die Revolution zu einer Verneinung und einem Betrug ihrer selbst. Lassen Sie uns also Mut zur Freiheit haben: sie soll an die Stelle von Unterdrückung und Terror treten. Erheben wir die Freiheit zu unserem Glauben und zu unserer Tag und wir werden stark darin werden."

Donnerstag, Januar 18, 2007

Wolf-Biermann-wird-Ehrenbürger-Playlist

Nachdem sich die eine Partei des demokratischen Sozialismus, die es am liebsten garnicht wäre, durchgerungen hat dem Vorschlag der konservativen Opposition zuzustimmen, während die andere Partei des demokratischen Sozialismus, deren Vorläuferin die Partei des gar nicht so demokratischen aber dafür realen Sozialismus war und den Wolf so gerne hatte, das sie ihn den westlichen Freunden geschenkt hat, geschlossen dagegen stimmen wird, was aber nichts macht, weil alle anderen dafür sind, bekommt er sie nun - zumindest sieht es ganz dannach aus: Die Berliner Ehrenbürgerschaft. (leicht polemisch eingefärbte Hintergrundinformationen: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,460425,00.html)

Und nachdem ich heute zum ersten Mal seine Lieder gehört habe - danke an Matthias für den Hiweis an dieser Stelle - zu recht! Meine Begeisterung für manches Gehörte möchte ich gleich weitergeben.
Der streitbare und nicht in allen Aussagen unumstrittene (aber deshalb interessante) Wolf Biermann hat wirklich viele tolle, lustig-ernste Lieder geschrieben, eine kleine Auswahl:

Die hab ich satt
So soll es sein - so wird es sein
Der Hugenottenfriedhof
Commandante Che Guevara
Warte nicht auf beßre Tage
Die grüne Schwemme

Viel Spaß beim Suchen und Hören!

"[...]

Sie selbst - na endlich ! - die Revolution
sie re-vo-lu-ti-o-niert sich schon
Sie wirft auf sich den ersten Stein -
so soll es sein
so soll es sein
so wird es sein

So oder so, die Erde wird rot:
Entweder lebenrot oder todrot
Wir mischen uns da bißchen ein
so soll es sein
so soll es sein
so wird es sein"

Montag, Januar 15, 2007

Montagsgedichte

Dem Barbaren

Deine rauhen Blutstropfen
Süßen auf meiner Haut.

Nenne meine Augen nicht Verräterinnen,
Da sie deine Himmel umschweben;

Ich lehne lächelnd an deiner Nacht
Und lehre deine Sterne spielen.

Und trete singend durch das rostige Tor
Deiner Seligkeit.

Ich liebe dich und nahe weiß
Und verklärt auf Wallfahrtzehen.

Trage dein hochmütiges Herz,
Den reinen Kelch den Engeln entgegen.

Ich liebe dich wie nach dem Tode
UNd meine Seele liegt über dich gebreitet -

Meine Seele fing alle Leiden auf,
Dich erschüttern ihre schmerzlichen Bilder.

Aber so viele Rosen blühn,
Die ich dir schenken will;

O, ich möchte dir alle Gärten bringen
In einem Kranz.

Immer denke ich an dich,
Bis die Wolken sinken;

Wir wollen uns küssen -
Nicht?


O, deine Hände

Sind meine Kinder.
Alle meine Spielsachen
Liegen in ihren Gruben.

Immer spiel ich Soldaten
Mit deinen Fingern, kleine Reiter,
Bis sie umfallen.

Wie ich sie liebe
Deine Bubenhände, die zwei.


Giselheer dem Heiden

Ich weine -
Meine Träume fallen in die Welt.

In meine Dunkelheit
Wagt sich kein Hirte.

Meine Augen zeigen nicht den Weg
Wie die Sterne.

Immer bettle ich vor deiner Seele;
Weißt du das?

Wär ich doch blind -
Dächte dann, ich läg in deinem Leib.

Alle Blüten täte ich
Zu deinem Blut.

Ich bin vielreich,
Niemandwer kann mich pflücken;

Oder meine Gaben tragen
Heim.

Ich will dich ganz zart mich lehren;
Schon weißt du mich zu nennen.

Sieh meine Farben,
Schwarz und stern

Und mag den kühlen Tag nicht,
Der hat ein Glasauge.

Alles ist tot,
Nur du und ich nicht.



Kleines Sterbelied

So still ich bin,
All Blut rinnt hin.

Wie weich umher.
Nichts weiß ich mehr.

Mein Herz noch klein,
starb leis an Pein.

War blau und fromm!
O Himmel, komm.

Ein tiefer Schall -
Nacht überall.


Georg Trakl

Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt.
So einsam war er in der Welt. Ich hatt ihn lieb.


Else Lasker-Schüler. Aus "Die Gedichte", Surkamp Verlag.

Freitag, Januar 12, 2007

Aus der "Zeit"

"Manchmal ist das Licht am Ende des Tunnels nur der entgegenkommende Zug" - John McCain, US-Senator und Bush-Verbündeter, zur geplanten Truppen-Aufstockung im Irak.

Montag, Januar 08, 2007

Montagsgedichte

Saal der kreissenden Frauen

Die ärmsten Frauen von Berlin
- dreizehn Kinder in anderthalb Zimmern,
Huren, Gefangene, Ausgestoßene -
krümmen hier ihren Leib und wimmern.
Es wird nirgends so viel geschrien.
Es wird nirgends Schmerzen und Leid
so ganz und gar nicht wie hier beachtet,
weil hier eben immer was schreit.

"Pressen Sie, Frau! Verstehen Sie, ja?
Sie sind nicht zum Vergnügen da.
Ziehn Sie die Sache nicht in die Länge.
Kommt auch der Kot bei dem Gedränge!
Sie sind nicht da, um auszuruhn.
Es kommt nicht selbst. Sie müssen was tun!"
Schließlich kommt es: bläulich und klein.
Urin und Stuhlgang salben es ein.

Aus elf Betten mit Tränen und BLut
grüßt es ein Wimmern als Salut.
Nur aus zwei Augen bricht ein Chor
von Jubilaten zum Himmel empor.

Durch dieses kleine fleischerne Stück
wird alles gehen: Jammer und Glück.
Und stirbt es dereinst in Röcheln und Qual,
liegen zwölf andere in diesem Saal.


O Nacht -:

O Nacht! Ich nahm schon Kokain,
und Blutverteilung ist im Gange,
das Haar wird grau, die Jahre fliehn,
ich muß, ich muß im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn.

O Nacht! Ich will ja nicht so viel,
ein kleines Stück Zusammenballung,
ein Abendnebel, eine Wallung
von Raumverdrang, von Ichgefühl.

Tastkörperchen, Rotzellensaum,
ein Hin und Her und mit Gerüchen,
zerfetzt von Worte-Wolkenbrüchen -:
zu tief im Hirn, zu schmal im Traum.

Die Steine flügeln an die Erde,
nach kleinen Schatten schnappt der Fisch,
nur tückisch durch das Ding-Gewerde
taumelt der Schädel-Flederwisch.

O Nacht! Ich mag dich kaum bemühn!
Ein kleines Stück nur, eine Spange
von Ichgefühl - im Überschwange
noch einmal vorm Vergängnis blühn!

O Nacht, o leih mir Stirn und Haar,
verfließ dich um das Tag-verblühte;
sei, die mich aus der Nervenmythe
zu Kelch und Krone heimgebar.

O still! Ich spüre kleines Rammeln:
Es sternt mich an - es ist kein Spott -:
Gesicht, ich: mich, einsamen Gott,
sich groß um einen Donner sammeln.


Synthese

Schweigende Nacht. Schweigendes Haus.
Ich aber bin der stillsten Sterne,
ich treibe auch mein eignes Licht
noch in die eigne Nacht hinaus.

Ich bin gehirnlich heimgekehrt
aus Höhlen, Himmeln, Dreck und Vieh.
Auch was sich noch der Frau gewährt,
ist dunkle süße Onanie.

Ich wälze Welt. Ich röchle Raub.
Und nächtens nackte ich im Glück:
es ringt kein Tod, es stinkt kein Staub
mich, Ich-Begriff, zur Welt zurück.


Kann keine Trauer sein

In jenem kleinen Bett, fast Kinderbett, starb die Droste
(zu sehn in ihrem Museum in Meersburg),
auf diesem Sofa Hölderlin im Turm bei einem Schreiner,
Rilke, George wohl in Schweizer Hospitalbetten,
in Weimar lagen die großen schwarzen Augen
Nietzsches auf einem weißen Kissen
bis zum letzten Blick -
alles Gerümpel jetzt oder garnicht mehr vorhanden,
unbestimmbar, wesenlos
in schmwezlos-ewigen Zerfall.

Wir tragen in uns Keime aller Götter,
das Gen des Todes und das Gen der Lust -
wer trennte sie: die Worte und die Dinge,
wer mischte sie: Die Qualen und die Statt,
auf der sie enden, Holz mit Tränenbächen,
für korze Stundne ein erbärmlich Heim.

Kann keine Trauer sein. Zu fern, zu weit,
zu unberührbar Bett und Tränen,
kein Nein, kein Ja,
Geburt und Körperschmerz und Glauben
ein Wallen, namenlos, ein Huschen,
ein Überirdisches, im Schlaf sich regend,
bewegte Bett und Tränen -
schlaf ein!

Gottfried Benn, sämtliche Gedichte, Klett-Cotta, 1912 - 1922, bis auf "Kann keine Trauer sein", 1956