Montag, April 24, 2006

Grundsatzprogrammdebatte der SPD

Bereits vor einer Woche habe ich, vor Veröffentlichung der Leitsätze für das SPD-Grundsatzprogramm, das Fehlen einer Analyse und Kritik des Kapitalismus befürchtet. Der nun vorliegende Programmentwurf hat, in diesem Punkt, meine Erwartungen allerdings noch einmal unterboten und mich erschaudern lassen.
Nach einer Lektüre des 20-seitigen Entwurfes, der in vielen Punkten Richtiges und Wichtiges, in einiges Punkten Unklares und Widersprüchliches, enthält, möchte ich dieses hier auszugsweise kommentieren.

Ich beginne mit dem Abschnitt, welcher der meisten Überarbeitung bedarf:
Die Grundwerte der sozialen Demokratie
"Gerechtigkeit erfordert, dass die gleiche Freiheit und die gleiche Würde aller Menschen gewährleistet werden – unabhängig von ihren jeweiligen Leistungen für die Gemeinschaft. Gerechtigkeit erfordert aber ebenso die Anerkennung ihrer unterschiedlichen Leistungen für die Gemeinschaft."
Na, was denn nun? Gleichheit oder Unterschiedlichkeit? Die Antwort darauf, vermag ich ich nicht zu geben, aber der Widerspruch ist augenscheinlich.
"Gerechte Teilhabe bedeutet zuallererst Chancengleichheit."
Wenn Teilhabe, auf die Chance auf Teilhabe reduziert wird, bedeutet dies natürlich auch die Abkehr von einem staatlich organisierten Angleichung sozialer Disparitäten und delegiert die Verantwortung dafür an den Einzelnen. Soziale Transfers und Umverteilung rücken damit in den Hintergrund.
"Auch die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands zielt auf die Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten und Lebenschancen aller Menschen in unserer Gesellschaft."
Wer diesen Satz im Gesamtzusammenhang liest, erkennt, dass es sich hier um ein verschämtes Lippenbekenntnis und nicht um den offensiven Anspruch, Umverteilung zu verwirklichen geht.
"In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie war der Demokratische Sozialismus das Gegenmodell zum diktatorischen Staatssozialismus. In ihm kam nicht die Vorstellung eines gesellschaftlichen Endzustands zum Ausdruck, sondern eine Wertvorstellung und eine politische Bewegung. Nach dem Ende der Systemkonfrontation verkörpert dieser Begriff die bleibende Einsicht, dass in einer Marktwirtschaft stets auch Lebensbereiche und öffentliche Güter existieren müssen, die der Logik des Marktes entzogen und bedarfsorientiert ausgerichtet sein sollten."
Dass der demokratische Sozialismus hier einzig als Gegenmodell zum diktatorischen Staatssozialismus gesehen wird, der noch dazu überholt sein soll und der Geschichte angehört, halte ich für dreist.
Es ist eine emanzipatorische Zielvorstellung vieler Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen noch in der heutigen Zeit, die daran festhalten, in Zukunft nicht in einer Welt leben zu wollen, in der die Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit das bestimmende Merkmal ist (der arbeitenden Bevölkerungen, dessen Lohn nur ein Teil dessen darstellt, was sie eigentlich produktiv erwirtschaftethergestellt haben), in der die gesamte Menschheit der Macht des Kapitals untergeordnet ist (jegliche Politik scheint darauf ausgerichtet, die Attraktivität des Standortes Deutschland für das Kapital zu erhöhen), das noch dazu ziel- und endlos akkumuliert wird (wofür machen Unternehme Gewinne? Um diese zu investieren, neue Produkte und Absatzmärkte zu erschließen, um noch mehr Gewinne zu machen. Dienen tut dies niemandem).
Nun soll in diesem Grundsatzprogramm nicht die sozialistische Weltrevolution propagiert werden, aber eine Kritik dieser destruktiven und für den Kapitalismus konstitutiven Merkmale, die man nicht wegreformieren kann, war Teil eines jeden (auch des Berliner Programms!) SPD-Grundsatzprogramms und stellt damit eine historische Wende da. Das kapitalistische System wird akzeptiert; es wird sogar - bis auf einige Einschränkungen, die uns dann lachhaft als demokratischer Sozialismus verkauft werden sollen - begrüßt. Aber der demokratische Sozialismus bedeutet nicht Korrekturen am Kapitalismus, sondern die Abschaffung desselben.
Doch eine solche Kritik wird sich nach dieser Zäsur in der sozialdemokratischen Programmatik nicht mehr finden.

Die Ziele der sozialen Demokratie
Friedenspolitik/Gewaltanwendung: "Diese dürfen aber ausschließlich als letztes Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft worden sind, im strikten Einklang mit dem Völkerrecht und nach Zustimmung des Deutschen Bundestages angewendet werden."
Angesichts früherer Interventionen sozialdemokratischer Bundesregierungen (Kosovo) bei denen "der strikte Einklang mit dem Völkerrecht" äußerst umstritten war, muss dieser Satz als sinnvoll, aber unklar und zu wenig bindend angesehen werden.

Die SPD als linke Volkspartei
"Damit sind wir zugleich die Partei der solidarischen Mitte. Nur wenn die gesellschaftliche Mitte in unserem Land für eine Politik der Sozialen Demokratie gewonnen werden kann und diese selbst für eine Politik der Sozialen Demokratie wirbt, ist diese auch möglich. Die solidarische Mitte ist es, die Steuern zahlt, weil sie einen handlungsfähigen und gerechten Staat will."
In einem Grundsatzprogramm ist es sicherlich unzureichend, sein als einziges Kriterium zum Bestimmen des Klientels das Zahlen von Steuern heranzuziehen: "Die SPD ist die Partei der Steuerzahler" ;)
Das besondere Verhältnis zu den Arbeitnehmern, Rentern, sozial Benachteiligten wird nicht genannt.

Um mich kurz zu halten sei zum "vorsorgenden Sozialstaat" noch gesagt, dass auch dieser reichlich nebulös bleibt und die Frage offen lässt, ob dies zu Kosten des "nachsorgenden" Sozialstaats geht. Werden also Sozialleistungen gekürzt?


Leider ist der Beitrag doch etwas lang geraten, aber vielleicht hat es ja jemand bis hier hin geschafft.
Ich freue mich auf eine angeregte und anregende Diskussion.


P.S. Letztendlich wird aus auf dem Parteitag ohne hin so enden:


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