Donnerstag, Januar 03, 2013

Steinbrück und die FASZ: Richtige Aufregung über das Falsche

Zur Wahlkampfstrategie der SPD


Sommerloch nennt man diese nachrichtenarme Zeit, in der die Journalisten sehnsüchtig die Ticker-Meldungen durchwühlen in der Hoffnung auf irgendetwas, das sich zur Schlagzeile machen lässt. Der Begriff geht dabei fehl, denn Sommerlöcher treten unabhängig von der Jahreszeit auf. In aller Regelmäßigkeit schauen sie an Ostern vorbei und wie Peer Steinbrück schmerzvoll erfahren musste, hat auch der Winter sein Sommerloch. Zwischen Weihnachten und Dreikönig ruht der Politik-Betrieb und weil die Zeitungsseiten dennoch gefüllt werden wollen, bietet sich für einen noch wenig populären Kanzlerkandidaten die wunderbare Gelegenheit... sich in die Nesseln zu setzen.

@minaaa und @totalreflexion haben aus sozialdemokratischer Perspektive dazu bereits einiges gesagt, die beste journalistische Analyse kam von der Welt: Dem Mann fehlt(e) das Fingerspitzengefühl, das Willy-Brandt-Haus (hat) versagt und die New York Times erinnert nicht zu Unrecht an Mitt Romney.

Das Interview war die Aufmerksamkeit wert. Aber nicht so sehr wegen des Frauen-Bonus oder des Kanzlergehalts. Das sind Gaffes, die vielleicht tief blicken lassen in die Persönlichkeit Steinbrück, wahrscheinlicher aber weniger sagen über den Kandidaten als über den Pressesprecher Donnermeyer, der überfordert zusah als sich die unterbeschäftigte Journallie und eine gelangweilte Blogsphäre auf einige zusammenhangslose Zitate der FASZ-Vorabmeldung stürzte. Als endlich, endlich der Volltext verfügbar wurde, offenbarte sich dann doch weniger das Psychogramm eines raffgierigen Machos als einige ziellose, selbstverliebte und vor allem missverständliche Gedankenfetzen, die einen ordentlichen Authorisierungsprozess nicht hätten überstehen dürfen.

Warum also war das Interview doch die Aufmerksamkeit wert?

Am 28. September wurde Steinbrück als Kanzlerkandidat vorgestellt. Überrascht? Seit einem Vierteljahr steht er nun im bundesweiten Scheinwerferlicht.

Denksportaufgabe: Welche positive Botschaft, welchen Akzent konnte Steinbrück setzen? Was ist neben der Honorar-Debatte in 10 Wochen Kanzlerkandidat Steinbrück positiv hängen geblieben?

Euch fällt nichts ein? Nun: Das SPD-Rentenkonzept wurde verabschiedet. Das war eher Gabriel (ganz nebenbei im Übrigen auch dem Dortmunder Genossen Gerd Kompe, den sonst (leider) niemand kennt) zuzuschreiben. Gnädige Geister werden zumindest auf den Nominierungsparteitag verweisen können. Ein - nicht unbedingt erwartbares - Zeichen der Geschlossenheit und eine sozialdemokratische Grundsatzrede waren zu verbuchen. Eine Rede, die in der Presse wohlwollend kommentiert wurde. Er habe die Herzen der Partei erreicht und demonstriert, wie er als Kanzlerkandidat authentisch einen Gerechtigkeitswahlkampf aus der Mitte heraus führen könne.

Klang und heimlich, unbemerkt hat sich Steinbrück nun von sich selbst distanziert, von der einzigen erfolgreichen Etappe des dreimonatigen Spießrutenlaufs. Zu seiner Rede sagt er:
Hätte ich eine Rede halten sollen, mit der ich die eigene Partei quäle und demobilisiere? Das wäre doch absurd gewesen. Ich musste und wollte die SPD mobilisieren. Aber deswegen hänge ich doch nicht wie eine Marionette an Fäden, die von obskuren linken Kräften gezogen werden, wie einige Kommentatoren es in einer Abschreckungsstrategie zu beschreiben suchen.
Diese Antwort (an anderer Stelle wiederholt) soll die Steinbrücksche Unabhängigkeit demonstrieren. Dem Ansatz liegt eine erfolgsversprechende, strategische Überlegung zu Grunde: Auf dem fragmentierten Parteienmarkt links der Mitte reicht das Wählerreservoir für die kritische Masse von wohl etwas über 30 Prozent nicht aus, um die Kanzlerschaft zu erringen. Die SPD kann nur den Sieg davontragen , wenn sie

  1. in einem Gerechtigkeitswahlkampf einen Großteil der zwei Millionen Wähler aktiviert, die 2009 mangels Profilierung kein ausreichendes Wahlmotiv sahen UND
  2. zumindest einen ordentlichen Batzen der 800.000 Wähler zurückgewinnt, die an die Union verloren wurden.
Die Arbeitsteilung ist klar: Die Partei (in Person von Sigmar Gabriel etc.) ist für die Polarisierung zuständig. Der Kandidat für Ausgleich und Kompetenz. Die Partei spricht die Stammwähler an. Der Kandidat die Unabhängigen der Mitte. Es ist die Wiederholung des letzten, echten sozialdemokratischen Wahlsieges von 1998. Innovation (Schröder) und Gerechtigkeit (Lafontaine). Auf sich alleine gestellt rettete sich Schröder 2002 nur dank Flut und der Irak mit 9.000 Stimmen Vorsprung über die Ziellinie.

Ganz offensichtlich bringt eine solche Strategie einen latenten Zielkonflikt und damit eine dauerhafte Instabilität mit sich. Immer läuft eine Kampagne die Gefahr, die komplementären Eigenschaften von Partei und Person nicht zu einem kohärenten Gesamtpaket vereinigen zu können. Es ist ja gerade erklärtes Ziel dieser Kampagne, nicht den Eindruck kompletter Deckungsgleichheit vorführen zu wollen. Die ironische Schnoddrigkeit eines Peer Steinbrück und die kühle Abgeklärtheit und rhetorische Beschlagenheit eines Sigmar Gabriels sind dafür nicht die schlechtesten Voraussetzungen.

Voraussetzung dafür ist aber eine glaubhafte Einigkeit in den strategischen Grundfragen oder anders: in der zentralen Botschaft des Wahlkampfes muss Partei und Kandidat eine Einheit bilden. Wie aber soll das gelingen, wenn der Kandidat die Inhalte dieser Auftaktrede, der großen Möglichkeit sich als Kandidat Partei und Öffentlichkeit vorzustellen, nachträglich zum Schauspiel erklärt, wo ein Bekenntnis zur gemeinsamen, leitenden Gerechtigkeitsbotschaft von Partei und Kandidat nötig gewesen  wäre? Stattdessen desavouierte er die eigene Rede und erniedrigt sie zur Fassadenmalerei. 

Steinbrück ist ein potenziell starker Kandidat mit breiter Ausstrahlungskraft. Er muss er als Kandidat seine Eigenständigkeit bewahren und sichtbar machen: Jedoch durch Abgrenzung in Habitus und Tonalität, nicht durch eine Distanzierung von der gemeinsamen Botschaft.

Wenn deutlich wird, dass Kandidat und Programm bzw. Kandidat und Partei auseinanderfallen, verliert beides seine Attraktivität. 


P.S. In Einem hatte Steinbrück im Übrigen Recht: "Wahlen werden nicht nach Beliebtheit entschieden". Zu politikwissenschaftlichen Erkenntnissen über die (überraschend geringe) Relevanz des Kandidaten-Faktors auf die Wahlentscheidung aber an anderer Stelle.